1224-2024
Das Geschenk der Stigmata
Im August des Jahres 1224 zieht sich Franziskus nach einer intensiven Zeit apostolischer
Tätigkeit auf den Berg La Verna zurück, um eine Fasten- und Gebetszeit einzulegen, wie es
seine Gewohnheit war. Es ist heute kaum vorstellbar, was es für den kranken Franziskus
bedeutet, auf dem Rücken eines Esels die steilen Pfade zu erklimmen. Franziskus ist total
erschöpft. Sorgen, Entbehrungen, Krankheiten – all das hat fürchterlich an seinen Kräften
gezehrt. Und so tut Franziskus etwas, was er in solchen Situationen immer gerne tat: Er zieht
sich in die Einsamkeit auf einen Berg zurück. Hier kann er ein wenig den Sorgen um seinen
Orden, seinen Enttäuschungen und Missverständnissen entfliehen oder mit Gott ins
Gespräch kommen. In diesem Kontext der Stille und des Gebets empfing der Poverello den
Besuch des geflügelten Seraphim, denn nur in der Stille ist es möglich, denjenigen zu hören
und aufzunehmen, der spricht
Der Biograf Thomas von Celano berichtet, wie Franziskus „in einem Gottesgesicht einen
Mann über sich schweben“ sah, „einem Seraph ähnlich, der sechs Flügel hatte und mit
ausgespannten Händen und aneinandergelegten Flügeln ans Kreuz geheftet war … Große
Wonne durchdrang ihn, und noch tiefere Freude erfasste ihn über den gütigen und
gnadenvollen Blick, mit dem er sich vom Seraph betrachtet sah, dessen Schönheit
unbeschreiblich war; doch sein Hangen am Kreuz und die Bitterkeit seines Leidens erfüllte
ihn ganz mit Entsetzen. Und so erhob er sich, sozusagen traurig und freudig zugleich, und
Wonne und Betrübnis wechselten in ihm miteinander. Er dachte voll Unruhe nach, was
dieses Gesicht wohl bedeute … Während er sich verstandesmäßig über das Gesicht nicht
ganz klar zu werden vermochte und das Neuartige an ihm stark sein Herz beschäftigte,
begannen an seinen Händen und Füßen die Male der Nägel sichtbar zu werden in derselben
Weise, wie er es kurz zuvor an dem gekreuzigten Mann über sich gesehen hatte.“ (Cel 94)
Auf La Verna verwirklichte sich der tiefe Wunsch des Poverello, Christus nachzufolgen und
sich ihm ganz anzugleichen, in der Begegnung mit dem Gekreuzigten, der seinem Herzen und
seinem Körper die Zeichen der Liebe einprägte